"Ich bin nicht imstande, die Zerreißprobe zwischen Glauben und Kirchenrecht auszuhalten..."

Hermann Münzel im Gespräch mit Michael Schmidt-Salomon

Schmidt-Salomon: Als Sie sich auf das "Abenteuer" einer ökumenischen Eucharistiefeier einließen, haben Sie eine solch scharfe Gegenreaktion der Amtskirche erwartet?

Münzel: Die scharfe Gegenreaktion der Amtskirche hat mich tatsächlich überrascht, auch zornig gemacht. Denn ökumenische Mahlfeiern sind lange schon guter Brauch: Christen laden sich gegenseitig zum Gottesdienst ein. Zum Beispiel hat der katholische Regionaldekan Josef Schönborn am Reformationsfest 1999 in der Kirche zum Erlöser (die Trierer sagen "Basilika") zusammen mit dem evangelischen Pfarrer Ulrich Dann den evangelischen Hauptgottesdienst gehalten, in gottesdienstlicher Kleidung, wie sie bei katholischen Priestern üblich ist; der katholische Pfarrer hat dabei das evangelische Abendmahl ausgeteilt. Das war ja keine kleine unbedeutende, sondern eine sehr zentrale gottesdienstliche Feier, - man kann sagen: einer der evangelische Hauptgottesdienste des ganzen Jahres, hundert Meter Luftlinie vom katholischen Dom entfernt. Und das will der katholische Bischof nicht gewußt haben? - Solche Beispiele (für das wünschenswerte Zusammenrücken der Christen) kann ich viele aufzählen, hier nur noch eins: 1998 war in Mainz Katholikentag - damals hat der katholische Priester Greinacher aus Tübingen (das ist ein ziemlich bekannter Professor) an genau derselben Feier mitgewirkt, für die ich jetzt in Hamburg bestraft wurde, - im Falle Greinacher hat kein Hahn danach gekräht. Um es kurz zu machen: ich durfte annehmen, dass die hiesige Amtskirche nicht zur schärfsten Sanktion greift, um mich zu maßregeln.

Schmidt-Salomon: Ein Großteil der Öffentlichkeit wird die Aufregung über das geteilte Abendmahl nicht verstehen. Was sind die theologischen Hintergründe, die das konfessionsübergreifende Verzehren einer Oblate zu einem ketzerischen Akt werden lassen?

Münzel: Ihre Frage kann ich so nicht stehenlassen: es handelt sich nicht um das "konfessionsübergreifende Verzehren einer Oblate", sondern um das Teilen von Brot. Es würde uns besser gehen, wenn die Menschen ihr Brot miteinander teilen würden, jene in den Industrie-Ländern mit denen, die im Elend leben und durch ihre kapitalistischen "Verbündeten" ausgebeutet werden; jene die die Börsennachrichten herunterbeten mit denen, die auf der Straße liegen.

Schmidt-Salomon: Dem stimme ich natürlich sofort zu. Aber in Hamburg ging es ja nicht um eine mildtätige Verteilung von Nahrungsmitteln, sondern um ein religiöses Ritual. Wenn Sie in Hamburg Käseschnittchen an Obdachlose verteilt oder mit der Superintendentin der evangelischen Kirche Hannovers - sagen wir mal - ein Schinkenbrot zu sich genommen hätten, wäre Bischof Spital sicherlich nicht eingeschritten. Können Sie die theologischen Bedenken ihres Vorgesetzten nicht nachvollziehen?

Münzel: Das Abendmahl ist nicht nur ein steifes Ritual, sondern hat auch ästhetische, poetische, mit einem Wort: symbolische Aspekte, - über die ich mich hier nicht auslassen kann. Nun haben sich vor einigen Jahrhunderten die abendländischen Christen zerstritten - Stichwort: Martin Luther. Die getrennten Kirchen definierten damals ihren Wahrheitsbesitz gegeneinander u.a. mit der Messe; seitdem ist das Tischtuch zerschnitten. Inzwischen hat das Kirchenrecht noch immer nicht gemerkt, dass das Tischtuch nicht mehr zerschnitten ist. Die Christen haben ihre Verwandtschaft neu entdeckt, aber das Kirchenrecht hinkt hinterher. Und Sie dürfen jetzt unterstellen, dass die Christen von heute nicht konfessionsübergreifend nur Oblaten verzehren wollen.

Schmidt-Salomon: Sie haben, nachdem Sie von Herrn Bischof Spital öffentlich angegriffen wurden, Ihre Teilnahme an der gemeinsamen Abendmahlfeier bedauert.

Bedauern Sie mittlerweile Ihr Bedauern? Wären die Folgen für Sie unerträglicher gewesen als der demütigende Akt einer öffentlichen Entschuldigung?

Münzel: Vielleicht glauben Sie mir, dass ich mich nicht unterworfen oder irgendwas revoziert habe, was mir mein Rückgrat verbiegt. Einige in der Kirchenführung hätten mich gern "ausgeschwitzt", weil sie mich für lästig halten. - Meine Distanzierung von der Ökumenischen Mahlfeier bedeutet: Ich habe mich jetzt einem Paragraphen des Kirchenrechts unterworfen, sonst nichts.

Bedauert habe ich, dass ich hätte wissen müssen oder ahnen können, dass der Trierer Bischof mich bestrafen wird, wenn ich gegen das Kirchenrecht verstoße. Gesetzesverstöße haben Folgen, und ich bin nicht imstande, die Zerreißprobe zwischen Glauben und Kirchenrecht auszuhalten. Sie wissen sicher, dass mich der Bischof nicht "öffentlich angegriffen", sondern Knall auf Fall - ohne ein Wort mit mir zu sprechen - aus dem Dienst entlassen hat. Ich bedauere das.

Schmidt-Salomon: Von außen betrachtet, erweckt der Vorfall den Eindruck, die Amtskirche habe nur auf einen Anlass gewartet, um Sie endlich abstrafen zu können. Meinen Sie nicht auch, dass die Schärfe der Gegenreaktion auch darin begründet ist, dass Sie Mitarbeiter und Herausgeber der kritischen Kirchen-Zeitschrift "imprimatur" sind? Wollte sich Bischof Spital vielleicht an Ihnen rächen? Immerhin haben Sie ihn (u.a. im Fall "Doerfert") immer wieder scharf angegriffen...

Münzel: Es kann sein, das Sie Recht haben: meine Mitarbeit an "imprimatur" gefällt dem Bischof nicht. Bedenken Sie: imprimatur wird fast ausschließlich von Kirchenbediensteten herausgegeben und geschrieben, seit 33 Jahren. Die Kritik an unserer katholischen Kirche ist scharf, wenn auch keineswegs destruktiv. Sie dürften das als Beamter irgendeines Ministeriums nicht machen, ohne rauszufliegen; in dieser Hinsicht steht die Kirche nicht so schlecht da. Ob sich jetzt Spital an mir rächt? Ich weiß es nicht, ich glaube es nicht.

Schmidt-Salomon: Eine andere Frage: Sie sind ein wichtiger Mitstreiter der kritischen Kirchenbewegung "Wir sind Kirche". Glauben Sie wirklich, dass die Kirche reformierbar ist? Woher nehmen Sie diesen Glauben?

Münzel: Die KirchenVolksBewegung "Wir sind Kirche" hat keineswegs (nur) Papst und Bischöfe zu Adressaten: vielmehr realisiert sie im kleinen Kreis, was Papst und Bischöfe nicht wissen (dürfen) und was sie verbieten würden, wenn sie es denn könnten. Insofern ist die Kirche immer schon dabei, sich zu reformieren. Man muss nicht auf Bischöfe warten - sie sind fast immer nur Nachhut.

Schmidt-Salomon: Nun, das sehen Ihre direkten Gegenspieler, die fundamentalistischen Bußgurtfetischisten des Opus Dei, ganz ähnlich. Auch sie denken, gewissermaßen als Avantgarde die Zukunft der katholischen Kirche bestimmen zu können. Nach Auskunft des prominenten Opus Dei Aussteigers Vladimir Felzmann formulieren diese heute bereits offen ihr Siegessicherheit: "In 20, 30 Jahren wird das einzige, was von der Kirche bleibt, Opus Dei sein. [...] Denn wir haben den klaren, sicheren, orthodoxen Blick in bezug auf alles. Der Gründer ist ja von Gott erwählt worden, die Kirche zu retten. Deshalb ist Gott mit uns." Glauben Sie wirklich, dass sich die KirchenVolksBewegung gegen solch siegessichere und mächtige Gegner durchsetzen wird?

Münzel: Ich antworte mit einem Vergleich. Mich erinnert das Opus Dei immer an den CIA: auch er arbeitet im Untergrund, hat viel Geld, wenig Moral, zieht heimlich Strippen und beeinflusst die Politiker... und fährt trotzdem immer wieder gegen die Wand. Zur Gegenwehr empfehle ich Gegenaufklärung und Lächerlichmachen. Wir lachen die Macht-Katholiken in ihren rauschenden Gewändern aus, das trifft. Das Opus Dei kann nämlich alles, nur nicht die Menschen erreichen; mit anderen Worten: es ist ohnmächtig...

 

Interview und Artikel erschienen erstmalig im Katz-Jahrbuch 2001

 

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