Die gute Uschi aus Bottrop
oder:
Ist das Christentum eine Religion der Liebe und Toleranz? 

Ist das Christentum nicht eine wunderbare Religion der Liebe und Toleranz? Auf diesen Gedanken könnte man durchaus kommen, wenn man z.B. das bunte Treiben auf evangelischen Kirchentagen betrachtet. Da wird nicht nur gebetet, sondern auch gelacht, getanzt, für eine gerechtere Weltordnung gestritten. Nettes Völkchen, diese ChristInnen, könnte man denken...

Bei genauerer Betrachtung allerdings stellt sich die Frage, ob man die freundlichen Leute, die sich da auf Kirchentagen herumtummeln, wirklich redlicherweise als ChristInnen bezeichnen kann. Denn wenn die nette Dritte-Welt-Aktivistin Uschi aus Bottrop, die nach zwei Scheidungen nun in wilder Ehe mit dem Atheisten Ansgar zusammenlebt, eine echte Christin ist, als was bezeichnen wir dann z.B. den Folterpapst Innozenz IV. oder den antisemitischen Bauernhasser Martin Luther? Waren 2000 Jahre Christentum, 2000 Jahre der Herrschaft, Unterdrückung, Verfolgung und Ausmerzung Andersdenkender nichts weiter als dummes Mißgeschick? Waren die Kreuzesritter und Ketzerverbrenner nur peinlich mißglückte Vorformen in der Evolution des Christenmenschen? Ist die nette Uschi aus Bottrop so etwas wie die Krönung der christlichen Evolution?

Um dies entscheiden zu können, müssen wir uns der Glaubensquelle zuwenden, auf die sich Uschi, Luther, Dorothee Sölle und Kardinal Ratzinger gleichermaßen berufen: Was sagt uns also die Bibel, die emphatisch als "Wort Gottes" gepriesene "Heilige Schrift" des Christentums?

Der Freiburger Entwicklungspsychologe Franz Buggle kam in seiner bewundernswert klaren und detailreichen Studie "Denn sie wissen nicht, was sie glauben" zu dem Ergebnis, daß die Bibel und damit die basale, ethisch/religiöse Quelle des Christentums, "zutiefst inhuman" sei, weil sie einen Gott als Vorbild propagiert, "der Eroberungskriege inklusive der ausdrücklichen Hinschlachtung von Kindern, Frauen und Greisen befiehlt, der eine inhuman grausame Blutjustiz immer wieder eindringlich fordert und die extrem grausame Hinrichtung seines eigenen Sohnes als Sühneopfer ausdrücklich wünscht, der [...] Frauen und Sklaven extrem diskriminiert, der die Ausrottung Andersgläubiger befiehlt, Geisteskrankheit auf Besessenheit zurückführt oder ewige (!) Höllenqualen androht..."

Wohlgemerkt, Buggles Analyse bezieht sich nicht nur auf das Alte Testament, dessen gewaltverherrlichende Grundtendenz bekannt sein dürfte, sondern ausdrücklich auch auf das Neue Testament, das einem hartnäckigen Vorurteil zum Trotz keineswegs nur ein Aufruf zu Friedfertigkeit und Feindesliebe ist.

So verkündet der wiederauferstandene Christus in der Offenbarung des Johannes: "Wer siegt und bis zum Ende an den Werken festhält, die ich gebiete, dem werde ich Macht über die Völker geben. Er wird über sie herrschen mit eisernem Zepter und sie zerschlagen wie Tongeschirr; (und ich werde ihm diese Macht geben) wie auch ich sie von meinem Vater empfangen habe [...]"(Offb, 2, 26-28)

 

Auch in den Evangelien zeigt der mythische Jesus als Erfüllungsgehilfe seines rachsüchtigen Vaters wenig Erbarmen mit Andersdenkenden, Andersgläubigen. So heißt es unmißverständlich im Markusevangelium: "Wer glaubt und sich taufen läßt, wird gerettet; wer aber nicht glaubt, wird verdammt werden." (Mk 16, 16) Die Brutalität dieser Drohung den Anders- oder Nichtgläubigen gegenüber ist erst dann zu ermessen, wenn man weiß, was es bedeutet, vom Menschensohn verdammt zu werden! Auf die Verdammten wartet nämlich eine Art himmlische "Endlösung": "Der Menschensohn wird seine Engel aussenden, und sie werden aus seinem Reich alle zusammenholen, die andere verführt und Gottes Gesetz übertreten haben, und werden sie in den Ofen werfen, in dem das Feuer brennt. Dort werden sie heulen und mit den Zähnen knirschen." (Mt 13, 41-43)

Nur ein Ausrutscher, eine singuläre, unglückliche Metapher? Nein: Nicht einmal zehn Verse später findet sich noch einmal die gleiche pyromanische Vorstellung von einer sauberen Endlösung der Ungläubigenfrage. In Mt 13,49-50 werden die Engel abermals mit der Selektion an der himmlischen Rampe beauftragt, wo sie "die Bösen von den Gerechten trennen und in den Ofen werfen, in dem das Feuer brennt", so daß sie "heulen und mit den Zähnen knirschen." Selbst in der Bergpredigt, der viel gerühmten, und von Uschi viel zitierten, finden sich solche - auf infantiler Gewalt- und Machtphantasie beruhenden - radikal inhumanen Strafandrohungen. So wird im Rahmen der ansonsten recht humanen, progressiven Bergpredigt, das eigentlich harmlose, versteckte, lüsterne Betrachten einer verheirateten Frau, auf eine Weise interpretiert, die jedes FundamentalistInnen-Herz vor Entzückung höher schlagen läßt: "Wenn dich dein rechtes Auge zum Bösen verführt, dann reiß es aus und wirf es weg! Denn es ist besser für dich, daß eines deiner Glieder verlorengeht, als daß dein ganzer Leib in die Hölle geworfen wird." (Mt 5, 29)

Buggle kommentiert sehr richtig: "Man versuche, sich von aller Gewöhnung durch religiöse Erziehung einmal frei und sich hier klar zu machen, was eine Drohung mit ewig dauernden extremen Qualen psychologisch bedeuten muß; dagegen verblassen alle sonst bekannten Folterungen und Strafen, weil diese immerhin zeitlich endlich sind. Bei aller Anerkennung der positiven Züge Jesu (und bei aller Schonung der Gefühle von Gläubigen): Kann ein ethischer und religiöser Lehrer, der solche Strafandrohungen wie selbstverständlich heranzieht und mit ihnen umgeht, der solche Strafphantasien offenbar unproblematisch akzeptiert oder entwickelt, kann ein solcher Mann heute noch als Verkörperung des absolut Guten, der absoluten Liebe, als Gott verkündet werden?"

Diese Frage dürfte die nette Uschi aus Bottrop doch in arge Gewissensnöte bringen. Denn: Wie kann sie auf dem Hintergrund dieses Wissens weiterhin Humanistin sein und gleichzeitig dem Vorbild Jesu folgen? Aus diesem Dilemma gibt es für sie (und für all die anderen netten, engagierten ChristInnen) nur einen einzigen Ausweg: den Weg in die intellektuelle Unredlichkeit. Was das heißt? Nun, Uschi wird den Drewermännern und Sölles dieser Erde dankbar folgen und das offensichtlich Inhumane des Christentums auf eine Art und Weise umwolken, daß es kaum noch in seiner eigentlichen, menschenfresserischen Substanz zu erkennen ist. Dank eines ungeheuren, rational nicht nachvollziehbaren, exegetischen Salto mortale wird es ihr gelingen, christliche Humanität selbst da noch zu erkennen, wo gegen jegliches Mindestmaß von Humanität auf´s scheußlichste verstoßen wird. Hierfür muß die Bibel selbstverständlich - auf Teufel komm raus (im wahrsten Sinne des Wortes!) - so sehr gegen den Strich gebürstet werden, daß jedem unbefangenen Beobachter die Haare zu Berge stehen. Da wird aus Unsinn plötzlich Sinn und aus Leid plötzlich Freude, da verklärt sich das Verbrechen zur Heldentat und das Joch zum Siegessymbol. Kurzum: Da versetzt Glaube nicht nur Berge, sondern auch unbefangene Beobachter in fassungsloses Erstaunen angesichts einer solch virtuosen Unredlichkeit der Deutung, hinter der wohl eine nicht eingestandene Selbstsäkularisierung des Christentums zu vermuten ist.

Dies alles wäre freilich nur halb so schlimm, würde das "Weichfilter-Christentum" der netten, aber aus christlicher Sicht doch bedenklich mutierten Uschi nicht den Blick für all die verheerenden Gefahren trüben, die - heute wie vor tausend Jahren - mit der Höllenideologie des Christentums unweigerlich verbunden sind. Um es einmal in Anlehnung an Deschner auszudrücken: "Die guten Uschis sind am gefährlichsten - man verwechselt sie mit dem Christentum."

Michael Schmidt-Salomon

Literatur:
BUGGLE, Franz (1992): Denn sie wissen nicht, was sie glauben. Oder warum man redlicherweise nicht mehr Christ sein kann. Reinbek.
SCHMIDT-SALOMON, Michael (1999): Erkenntnis aus Engagement. Grundlegungen zu einer Theorie der Neomoderne. Aschaffenburg.


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