"Der Wahnsinn hat Methode!"
Theo Logisch im Gespräch mit Michael Schmidt-Salomon

 

Als das Buch "Das ist euer Glaube!" 1998 im Angelika Lenz Verlag erschien, erregte zunächst das merkwürdige Pseudonym des Verfassers mein Interesse. Als ich das Buch dann in Händen hielt, stellte ich bald fest, dass es weit mehr zu bieten hatte als den originellen Autorennamen Theo Logisch. Das packend geschriebene Buch ist ein hervorragender Wegweiser durch das abenteuerliche Labyrinth der kirchlichen Dogmatik. Ein unwegsames Terrain, das bisher nur wenige Kritiker betreten haben und auf dem sich Logisch mit virtuoser Leichtigkeit bewegt. Schon dies allein macht "Das ist euer Glaube!" zu einem Buch, das in keiner gut sortierten Bibliothek fehlen sollte.

Thema des Buches ist nicht die äußere Geschichte des Christentums, sondern seine innere. Es beschäftigt sich mit dem Wesen, nicht mit dem Erscheinungsbild des Christentums. Das heißt: Es fragt nicht vordringlich danach, was die Kirche in ihrer unheilvollen Geschichte tat (Kreuzzüge, Hexenverbrennungen, Kampf gegen Wissenschaft und Demokratie etc.), sondern stellt die weit interessantere Frage, warum sie all dies tun musste.

Wer sich unter dieser kritischen Fragestellung auf das in sich geschlossene Ideensystem des Christentums einlässt, wird aus dem Staunen kaum noch herauskommen. Es ist für rational denkende Menschen schwer nachvollziehbar, welche Absonderlichkeiten vom kirchlichen Lehramt als ewige Wahrheiten abgesegnet wurden. Oder sagen wir besser: auch heute noch abgesegnet werden. Denn wer glaubt, dass das christliche Lehramt mittlerweile in der Neuzeit angelangt sei, der wird durch das Buch von Theo Logisch eines Besseren belehrt. Verblüffend die Kontinuität, mit der sich der Wahnwitz klerikaler Weltdeutung durch die Geschichte zieht.

Eigentlich hätte die Besprechung dieses empfehlenswerten Buches schon viel früher in der MIZ erfolgen sollen. Aus verschiedenen Gründen kam es jedoch bisher nicht dazu. Umso mehr freuten wir uns, als Theo Logisch per eMail an uns herantrat. Wir entschlossen uns, mit dem anonymen Verfasser dieses hervorragenden Buches ein Interview zu führen...


MSS: Lieber Theo Logisch, Ihr Buch "Das ist euer Glaube!" zeichnet sich durch eine profunde Kenntnis kircheninterner Schriften aus. Was brachte Sie dazu, sich so tief in die Theologie zu vergraben? Die meisten Kirchenkritker machen ja in der Regel einen großen Bogen um das abenteuerliche Labyrinth der theologischen Dogmatik...

Logisch: Um den Nachweis zu führen, dass der christliche Glaube im Kern faul ist, dass zentrale Glaubenswahrheiten wesentlich intolerant, inhuman und gefährlich sind, war es nötig, die Lehrverkündigung selbst ins Blickfeld zu rücken. Dazu musste ich mich - wie Sie sagen - in die Schriften vergraben, die als offizielle, verbindliche Dokumente des Glaubens von höchster Stelle autorisiert sind. Sowohl neuere Lehrschreiben als auch ältere, denn es galt auch die beeindruckende und für jeden Kirchenkritiker sehr praktische Kontinuität der Lehrverkündigung herauszuarbeiten. Was dagegen einzelne Theologen an theologischen Ideen, Abweichungen, Akzenten, Uminterpretationen und spirituellen Sonderangeboten bieten, war für meine Untersuchung höchstens psychologisch oder anekdotisch interessant. Diese Art von Theologie ist eine pseudoakademische Disziplin, die umständlich um das herumredet, was das Lehramt schon immer viel klarer und deutlicher gesagt hat. Es geht mir um die Theologie, und das ist per Definition die des Lehramtes. Es geht mir auch nicht um den Glauben mancher Leute, sondern um den Glauben. Warum? Meine These ist: Der Glaube ist so beschaffen, dass er - zwar nicht immer und überall, aber tendenziell - zu dem führen muss, was das Christentum an Obskurantismus, Intoleranz, Haß und Gewalt hervorgebracht hat. Anders gesagt, die Kriminalgeschichte und Krankengeschichte des Christentums sind eine natürliche und notwendige Entfaltung allerheiligster Glaubenswahrheiten. Wenn Kirchenkritiker nicht an diesem Punkt ansetzen, bringen sie die Verfechter des Glaubens nie wirklich in Bedrängnis. Diese geben dann einfach zu, dass es "Entgleisungen", "Zuwiderhandlungen", "Abweichungen" und "Verfehlungen" gegeben hat, womit der Glaube wieder gerettet ist. Ja, man muss ihn dieser Logik zufolge noch mehr predigen. Wir können noch so viele Belege für die Exzesse des Christentums auf der Verhaltensebene anführen - im Grunde, so entgegnet man uns, sei das nicht mit dem Glauben vereinbar. Aber hier kann man den Gläubigen beim Schopfe packen und ihm schwarz auf weiß zeigen, was sein Glaube ist.
Die meisten Kirchenkritiker setzen an dem an, was die Kirche tut bzw. getan hat. Ich halte es für wichtiger zu zeigen, dass sie es tun musste und warum. Aber ich gebe zu: Die (katholische) Glaubenslehre ist ein trockener Stoff, zumindest am Anfang. Doch wenn man eine Bombe nach der andern ausgräbt und das Unheilsprogramm Konturen gewinnt, ist es richtig aufregend.

MSS: Wählten Sie das Pseudonym "Theo Logisch", um sich vor Angriffen christlicher Fundamentalisten zu schützen oder wollten Sie durch den originellen Autorennamen vornehmlich auf Ihr Buch aufmerksam machen?

Logisch: Das Pseudonym dient meinem Schutz. Nicht vor Angriffen von Fundamentalisten, sondern vor dem Verlust des Arbeitsplatzes. Für einen "radikalen" Kirchenkritiker ist das alles andere als heroisch, aber ich habe im Moment keine Lust, meine ökonomische Existenz zu opfern, weil die Kirche in diesem Staat die Macht hat, die sie hat. Daraus werden Sie vielleicht nicht schlau, aber mehr kann ich dazu jetzt nicht sagen.

MSS: Gut, dann wollen wir an diesem Punkt auch nicht weiter nachbohren... Zu einer anderen Frage: Ihr Buch ist packend und amüsant geschrieben. Trotzdem kann ich mir vorstellen, dass so mancher Verlag das Thema nicht anfassen wollte. Mussten Sie viele Verlage abklappern, bis Sie zum Angelika Lenz Verlag fanden?

Logisch: Ich musste in der Tat viele Absagen einstecken. Es war frustrierend. Manche Lektoren zeigten Interesse für das Buch, aber nicht für eine Veröffentlichung in ihrem Verlag. Oft hörte ich das Argument, dass damit wahrscheinlich nicht viel Geld zu verdienen sei, sogar von kirchenkritischen Verlagen.

MSS: "Das ist euer Glaube" ist - so der Untertitel - eine "Streitschrift gegen Fundamentalisten, progressive und laue Christen". Würden Sie Deschners bekanntem Aphorismus zustimmen, die guten Christen seien die gefährlichsten, weil man Sie mit dem Christentum verwechselt?

Logisch: Was Deschner meint, ist richtig: Gute Menschen, die sich zum Christentum bekennen, verleihen dieser Religion punktuell ein menschliches Gesicht und machen sie dadurch attraktiv für Suchende. Natürlich sind sie nicht als Individuen gefährlich (hier wären eher die Fundamentalisten zu nennen), sondern als Modell für weltanschauliches Orientierungsverhalten. Ich würde diese guten Menschen jedoch nicht als gute (=linientreue) Christen bezeichnen. Einen ähnlichen Werbeeffekt wie die "Guten" haben die "Progressiven", von denen Deschner auch sagt, sie seien die Schlimmsten. Ja, denn sie gaukeln Fortschritt vor. Mein Buch wendet sich bewusst gegen die Progressisten, denen ich vorwerfe, wenn auch ungewollt die Steigbügelhalter der fundamentalistischen Hierarchie zu sein, die sonst nicht so fest in ihrem hohen Sattel säße. Aber auch die lauen Christen, die man sonst links liegen lässt, kriegen ihr Fett weg; sie wirken als Steuerzahler und Konsumenten kirchlich organisierter Feierlichkeiten mächtig systemstabilisierend. Die Kirche wird zwar beherrscht, aber nicht getragen von den Fundamentalisten, sondern von deren angeblichen innerkirchlichen Gegnern. Eine perfekte Arbeitsteilung...

MSS: In Ihrem Buch finden sich viele Beispiele, die die Absurdität vieler christlicher Glaubensvorstellungen eindrucksvoll belegen. Wenn Sie eine Hitliste der absurdesten christlichen Lehren aufstellen müssten, welche kämen Ihrer Meinung nach unter die ersten drei?

Logisch: Das fällt mir schwer, da die Auswahl sehr groß ist und ein Aberwitz den andern übertrifft. An oberste Stelle würde ich die Idee setzen, dass Gott uns nur unter der Bedingung von unserer fundamentalen Schlechtigkeit befreien konnte, dass ein Unschuldiger (sein Sohn) an unserer Stelle massakriert werden musste. Denn: "Ohne Blutvergießen gibt es keine Vergebung" (Hebr 9,22). Apropos absurd: Die Absurditäten sind auf eine bewundernswert systematische Weise geordnet und aufeinander bezogen, der Wahnsinn hat Methode! Das Dogmensystem ist ein sehr kunstvolles Gespinst. Ohne intellektuelle Anstrengung und den Mut, sich seines Verstandes zu bedienen, ist dagegen nichts auszurichten.

MSS: Das Christentum ist - auch dank Ihrer Arbeit - mittlerweile hinreichend theoretisch widerlegt. Praktisch erledigt ist es jedoch noch lange nicht. Wie erklären Sie sich diese Diskrepanz? Welche Zukunftsaussichten hat Ihrer Meinung nach das Christentum?

Logisch: Dass das Christentum praktisch noch lange nicht erledigt ist, hat viele Gründe. Sie selbst haben dazu ja auch schon treffliche Analysen geliefert. Ich sag's mal so: Erstens ist es ein typisch menschliches Phänomen, aus Erkenntnissen nicht gleich (oder nie) die Konsequenzen zu ziehen. Zweitens enthält die für die Vernunft bittere Pille des Christentums angeblich Wirkstoffe, die uns moralische Integrität verleihen und das ewige Leben sichern können. Das ist für jeden Narzissten ein gefundenes Fressen. Aber auch die Ängstlich-Genussunfähigen kommen auf ihre Kosten, sie bannen die Gefahr des göttlichen Zorns. Drittens ist das organisierte Christentum ein sehr geschickter Parasit: Er sitzt in Verfassungen und in Parlamenten, verbreitet seine Ideologie in öffentlichen Schulen, Universitäten und den Medien, er melkt den Steuerzahler, verteilt Schuldgefühle und Vergebung und passt sich oberflächlich den Bedingungen an, um sein Programm unbeirrt fortzusetzen. Als Steuerzahler wird man übrigens durch die Taufe prädestiniert. Eltern lassen ihre Kinder nicht taufen, damit sie mal später geschröpft werden, sondern weil dieser Anlass zu einem quasi kulturellen, gesellschaftlichen Ritual mutiert ist. Und damit sind wir bei Punkt 4: Die Menschen lieben es, ihr Glück zu inszenieren. In aufsteigender kultureller Reihenfolge als Saufgelage, Hupkonzert, Glockengeläut, Bach im Dom. Die Kirche agiert hier in einer konjunkturresistenten Nische als Zeremonienmeister. Aus dem Bauch dieses trojanischen Pferdes kommt dann, so ganz nebenbei, der ideologische Zugriff. Fünftens: Der intellektuelle Fortschritt vollzieht sich aufgrund rasanter Entwicklungen der Wissenschaft und der Unübersichtlichkeit der Wissensgebiete nur in Teilbereichen ohne Übertragungseffekt z. B. auf Fragen der Religion, und er vollzieht sich nur in einigen Individuen oder minoritären Gruppen. Rationales Denken wird nicht kultiviert, mit Irrationalem wird kokettiert...

MSS: Muss man aus all dem nun folgern, dass dem Christentum eine blühende Zukunft bevorsteht?

Logisch: Zumindest sind die Zukunftsaussichten des Christentums nicht allzu schlecht. Es ist zwar nicht der einzige Anbieter, aber die gute Positionierung auf dem Weltmarkt, die überzeugende Führungsstruktur, der kulturelle Chauvinismus der christlichen Abendländler, die aggressive Aquisitionsstrategie in der dritten Welt und die ausgewogene Mischung aus fundamentaler Starrheit und oberflächlicher Anpassungsfähigkeit machen das Unternehmen Christentum konkurrenzfähig. Doch es gibt auch Gefahren: Die Menschen könnten mal wieder ihre Leidenschaft für die Vernunft entdecken. Wenn der ideologische Missbrauch an Kindern aufhört, wäre das eine echte Chance. Tendenziell, über mehrere Jahrzehnte gerechnet, sehe ich das Christentum zumindest in Europa auf dem Rückzug.

MSS: Was sagen Sie zum großen "historischen" Mea Culpa des Papstes? Die meisten Kritiker waren sich darin einig, dass es sich dabei nur um einen geschickten Propagandatrick zur Imageverbesserung einer überkommenen Institution handelte...

Logisch: Wäre ich Papst und ich wollte meine Glaubensorganisation mal wieder als ehrenwerte Institution mit scheinbar menschlichem Antlitz ins Gespräch bringen, ohne aber einen Deut von dem arroganten, starren Selbstverständnis abzuweichen, hätte ich das Gleiche getan: Ich hätte genau dieses publikumswirksame Jahrtausend-Mea-culpa inszeniert, ein "Schuldeingeständnis", das die Schuld anonymisiert und banalisiert, das die Schuldigen aus der Verantwortung der Kirche auslagert und somit die Makellosigkeit der göttlich gestifteten Einrichtung bekräftigt. Mit Bedacht hat der Papst nicht von der Schuld der Kirche, sondern mancher "Söhne der Kirche" gesprochen. Bagatellisierend und relativierend sagt er, "in manchen Zeiten der Geschichte haben Christen bisweilen Methoden der Intoleranz zugelassen". In manchen Zeiten? Bisweilen? Zugelassen? Besser sollte es heißen: Christen haben kontinuierlich über die Jahrhunderte mörderische Intoleranz praktiziert. Mehr noch: Kreuzzüge, Glaubenskriege, Judenhass, gewaltsame Missionierung, Ketzerverbrennung sind keine historisch begrenzten Ausrutscher einzelner Kirchenmitglieder, sondern folgen zwingend aus dem Glauben und Selbstverständnis, die institutionell vollkommene Verwirklichung der von Christus gewollten Kirche zu sein und unfehlbar das Heil zu verkünden. Wenn Christen hassen oder auch Schlimmeres tun, tun sie dies nicht in Verleugnung ihres Glaubens, sondern eher in dessen Erfüllung, wie die ungebrochene Tradition der Lehrverkündigung, aber auch die Schriften des Alten und Neuen Testaments belegen. Übrigens hat die Kirche beständig gelehrt, dass sie - die als Institution "Sündenlose" - immer auch Sünder in ihren eigenen Reihen beherbergt hat. Das neue Mea culpa ist also nichts anderes als die Wiederauflage eines alten theologischen Tricks mit eingebautem Sympathieeffekt.

MSS: Arbeiten Sie zur Zeit an einem neuen Buch?

Logisch: Nein. Nicht als Theo Logisch. Aber es gäbe noch 'ne Menge zu sagen...

MSS: Wir dürfen also gespannt sein. Vielen Dank für das interessante Gespräch.


Literaturhinweis:

Logisch, Theo: Das ist euer Glaube! Strukturen des Bösen im Dogma. Eine Streitschrift gegen Fundamentalisten, progressive und laue Christen. Angelika Lenz Verlag. 456 S. ISBN 3-933037-01-8.


erstmals veröffentlicht in:
Materialien und Informationen zur Zeit (MIZ) 1/2001