Michael Schmidt-Salomon

"Gott will es!"

MIZ 1/2002
Heft-Schwerpunkt:
Religion, Politik, Justiz - Wenn zusammenwächst, was getrennt gehört
(siehe auch: www.miz-online.de/)

Vor kurzem konfrontierte der Spiegel seine Leserschaft mit einer erfreulich religionskritischen Titelstory. Anlass war der aktuelle Nahost-Konflikt, der – so der Grundtenor des Artikels – nur verstanden werden könne vor dem Hintergrund des Jahrtausende währenden blutigen Kampfes um die „Heilige Stadt“. Immer wieder brachten Juden, Christen und Muslime einander um, weil sie Jerusalem als „Trophäe für ihren Gott“ gewinnen wollten. Der aktuelle Terrorkrieg zwischen Israelis und Palästinensern sei letztlich nur das jüngste Exempel dieses alten, vermeintlich „gottgewollten“ Blutvergießens.

Völlig zu Recht wiesen die Spiegel-Redakteure darauf hin, dass die aktuelle Intifada eine ihrer Ursachen in „frommem Imponiergehabe“ hatte. Ariel Sharon, im Herbst 2000 noch israelischer Oppositionsführer, fürchtete ein politischer Rivale könne ihm an Überzeugungsstärke gleichkommen. Also dokumentierte er den Anspruch der Juden auf den Tempelberg durch einen wenig feinfühligen Besuch dieser für Juden und Moslems gleichermaßen „heiligen Stätte“ und provozierte so „einen erneuten Krieg der Steine, der dann, nach dem ehernen Gesetz der Vergeltung, eine dramatische Eskalation des Blutvergießens bei Juden und Palästinensern auslöste.“

Wie anders hatte sich der „Urzionist“ Theodor Herzl am Anfang des 20. Jahrhunderts die Sache ausgemalt. In seinem Roman "Altneuland" lebten Juden und Araber nicht nur friedlich neben-, sondern miteinander und genossen gemeinsam die Früchte der europäischen Aufklärung. Die Religion war auf den Tempelberg verbannt. Dort könne jeder beten, wie er wolle. Ob Moslem, Jude, Christ – kein Problem.

Aber da überschätzte der Wiener Literat entschieden die Toleranz der Frommen, die im Fall der „Heiligen Stadt“ keinerlei Spaß verstehen. Das Grundproblem: Jerusalem leidet an einem dramatischen Überangebot heiliger Orte. Hier vereinigte König David die Stämme Israels. Hier liegt sein Grab, nur wenige Schritte neben jenem Haus, in dem die Christen den Ort des letzten Abendmahls vermuten. Von dort wiederum sind es nur einige hundert Meter bis zu jenem Felsenplateau, von dem aus Mohammed der Legende nach gen Himmel ritt.

Es ist offensichtlich, dass so viel Frömmigkeit weder der Stadt noch dem Land gut bekommen konnte. Aber was tun? Die Spiegel-Redakteure erinnerten an den bereits 1947 geäußerten Ratschlag eines chinesischen Uno-Delegierten, der vorsah, die heiligen Stätten "einem philosophischen Atheisten mit Menschenfreundlichkeit" zu unterstellen. Auch wenn man an der puren Menschenfreundlichkeit des chinesischen Vorschlags durchaus Zweifel hegen kann, die Grundintention war und ist sicherlich richtig: Die politische Lage in Nahost wird sich erst dann entspannen können, wenn der ungesunden Vermengung von religiösen und politischen bzw. ökonomischen Sachverhalten konsequent entgegengewirkt wird. Das zeigt, wie notwendig und aktuell die zentrale politische Forderung der Konfessionslosen-Verbände ist: Die konsequente Trennung von Staat und Religion ist und bleibt die Grundvoraussetzung für jede offene Gesellschaft.

Leider wird das von vielen politisch Verantwortlichen bzw. ihren Wählern nicht so gesehen. Schaut man sich z.B. den letzten Präsidenten-Wahlkampf in den USA an, so muss man mit einigem Erschrecken feststellen, wie stark das politische Klima der mächtigsten Nation der Welt von religiösen Überzeugungen geprägt wird (siehe hierzu den Beitrag von Stefan Herkt in der vorliegenden MIZ). Wenn für amerikanische Wähler ein atheistisch denkender Präsident nahezu ein Ding der Unmöglichkeit ist, darf man sich wohl wenige Hoffnungen machen, dass in Nahost nüchterne, säkulare Positionen in naher Zukunft von größerer Bedeutung sein werden.

Jedoch müssen wir nicht in die Ferne schweifen, um zu erkennen, wie schwierig es für manchen politisch Verantwortlichen ist, die Idee einer konsequenten Trennung von Religion, Politik und Justiz nachzuvollziehen. Die scharfen Reaktionen auf das jüngste Kruzifix-Urteil sprechen in diesem Zusammenhang Bände. Nach sechsjährigem Prozess war es dem Pädagogen Konrad Riggenmann gelungen, für sich das Recht zu erkämpfen, nicht unter dem Kruzifix unterrichten zu müssen (vgl. hierzu die Beiträge von Gerhard Czermak und Konrad Riggenmann in diesem Heft). Nach der Urteilsverkündung warf Kultusministerin Monika Hohlmeier dem erfolgreichen Kläger vor, er habe sich „ohne Toleranz und Rücksicht auf die Gemeinschaft gegen die große Mehrheit gestellt“. CSU-Generalsekretär Thomas Goppel forderte den Lehrer sogar auf, das Unterrichten aufzugeben. Ganz soweit wollte der SPD-Landesvorsitzende Wolfgang Hoderlein zwar nicht gehen, aber er wunderte sich doch sehr über die Gerichtsentscheidung, die der Gewissensfreiheit des Einzelnen Vorrang gebe vor der „kulturell-religiösen Prägung des Staates und seiner Verfassung“.

Ob sich die maßgeblichen Vertreter der Evangelischen Kirche in ähnlicher Weise auf die „kulturell-religiöse Prägung des Militärs“ berufen möchten (bekanntlich trugen deutsche Soldaten in beiden Weltkriegen den beliebten Slogan „Gott mit uns“ auf dem Koppelschloss), können wir nicht behaupten. Aber immerhin gelang es ihnen nach langem, zähem Kampf, die Weichen so zu stellen, dass auch in Ostdeutschland Militärseelsorge in alter, bundesrepublikanisch bewährter Form betrieben werden kann – d.h. finanziell auf Kosten und ideologisch im Dienste des Staates (siehe den entsprechenden Beitrag von Gunnar Schedel). Die innerkirchlichen Warnungen (z.B. des Dietrich-Bonhoeffer-Vereins) vor einer allzu starken Nähe von Kirche und Staat verhallten wirkungslos im Raum.

Ähnlich übergangen müssen sich zur Zeit diejenigen fühlen, die innerhalb von Bündnis 90/ Die Grünen für die strikte Trennung von Staat und Weltanschauung eingetreten sind. Wie Roland Ebert schildert, rückt die einstige Reformpartei immer mehr von ihren ursprünglichen, kritischen Standpunkten ab, wohl in der Hoffnung in den Kirchen starke Bündnispartner finden zu können. Selbstverständlich wäre von konfessionsloser Seite wenig an einer prinzipiellen Zusammenarbeit (beispielsweise in den Feldern „Ökologie“ oder „soziale Gerechtigkeit“) auszusetzen, würden die Grünen sich diese Zusammenarbeit nicht über den arg überteuerten Preis eines weitgehenden Kritikverzichts erkaufen.

Man darf durchaus gespannt sein, wie Konfessionslose auf diesen scheinbar „chronisch fortschreitenden Rückschritt“ im grünen Parteiprogramm reagieren werden. Auf jeden Fall werden wir die Entwicklung weiter kritisch verfolgen müssen, damit es in punkto Religion, Politik und Justiz nicht doch wieder zu Verhältnissen kommt, in denen noch stärker zusammenwächst, was eigentlich getrennt gehört…

Michael Schmidt-Salomon, Februar 2002

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